20.03.2013 SCHREIBKRÄFTE MAGDEBURG (D)

Bilder & Eintrag: Jan Kubon
Magdeburg (Stadtfeldklause), 20.03.2013

Es ist immer noch bitterkalt. (Ich schreib‘ das mal gleich am Anfang, damit auch in diesem Eintrag mal etwas zum Thema Wetter geschrieben steht.). Die standardmäßig für echte Kneipen, nach außen-öffnend angeschlagene Tür der Stadtfeldklause ist heute mein Tor in die heimelige Glückseligkeit eines ehrlichen Frischgezapften, einer Hausmacherbulette und der Lesung des freien Schreibkollektives „Die Schreibkräfte“.

Die „Stadtfeldklause“ ist das, was man eine Eckkneipe nennt. Erinnert sich in Stadtfeld noch jemand an diese Orte des Kiezgemeinsamen, in der die Abende früh begannen und deren Ende für die Einheimischen immer richtig und für die Vorboten der Stadteilgentrifizierung jedoch meist zu früh kam? Richtig, ein solcher Ort ist die Stadtfeldklause. An einem Tisch fröhnt (es ist höchstwahrscheinlich seit Jahrzehnten immer dieselbe) eine Doppelkopfrunde diesem verwirrenden Spiel. Der Kneiper (Ja, man sagt hier noch nicht Barkeeper!) zapft mit stoischer Gelassenheit ein kleines Pils nach dem anderen und die Küchenkraft (Ja, auch die heißt hier noch nicht Servicepersonal!) serviert einer Runde Jäger: Currywurst mit Pommes oder das Tagesmenü – Bulette mit Pommes. Wobei wir auch gleich beim Thema des Abends wären: Die Schreibkräfte lesen heute Abend im Hintersaal der Kneipe (ebenfalls im Eichencharme der frühen Neunziger!) Texte über das Essen.

Die Schreibkräfte an diesem Abend sind: Uli Wittstock, Herbert Beesten, Cornelia Habisch und Stephan Schulz. Doch bevor die vier Literaten dem Publikum im fast ausverkauften Saal ihre Texte vorstellen, führt die Kulturwissenschaftlerin Nadja Gröschner noch kurz durch die wechselhafte Geschichte der Klause. Die Führungen oder Vorträge (im Falle des draußen herrschenden Schneesturmes verzichteten die Veranstalter auf einen gemütlichen Spaziergang rund um die Kneipe) zu den verschiedenen stadtprägenden (oft allerdings dem Vergessen anheim gefallenen) Orten, an die es die Songtage immer wieder zieht, sind fester Bestandteil des Festivals und machen für die Zuschauer einen großen Reiz der Songtage aus. Der Kneiper hört der Stadtchronistin interessiert zu und nickt wissend. Später am Abend krieg‘ ich dann noch alle Informationen über die Besitzverhältnisse und Umsatzzahlen der Kneipe an der Bar, bei einem Pils frei Haus geliefert. Natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit versteht sich. Überhaupt wirkt die Klause wie ein Ort, an dem man schnell Teil des Ganzen werden kann.

Dann beginnen die Schreibkräfte. Herbert Beesten ist der Lyriker unter den Vier. Mit Anleihen beim Dadaismus, wird der bekennende Vegetarier später eine Hassliebeserklärung an die Bulette vom Stapel lassen. Uli Wittstock beginnt seinen Vortrag mit einem Einblick in die „Küche der Sozialisten“. Kurzweilig, pointiert und scharfzüngig nimmt er das Publikum mit auf eine kulinarische Reise in die Zeit vor dem Fall der Mauer. „Jägerschnitzel“, „Soljanka“ und „Kalte Schnauze“ heißen die Mitspieler in seinen Texten. Und kaum einer im Saal erinnert sich nicht an diese Exzesse des Ungesunden. Cornelia Habisch gewährt einen Einblick in die Weihnachtsrituale (Fondue vs Bockwurst und Kartoffelsalat) ihrer Jugend und Stephan Schultz wird später eine Episode aus seinem Buch über Louis Armstrong lesen. Der amerikanische Jazzmusiker hatte nämlich eine ungebremste Vorliebe für Sauerkraut und Eisbein.

Im Editorial des Journals „Schreibkräfte“, das die Literaten selber editieren, heißt es:

„Wir sind Schreibende, die sich gegenseitig dabei helfen, das Geschriebene vom Schreibtisch ins öffentliche Leben zu holen. Aus der Einsamkeit, die zum Schreiben nötig ist, zerren wir einander in das grelle Scheinwerferlicht der Bühne. Die Schreibkräfte haben dabei gelernt, dass Literatur gemeinsam mit dem Publikum gefeiert werden muss.“

Und gefeiert wurde am Ende des Abends. Verdienter, lang anhaltender Applaus beendet nach 75 Minuten diese besondere (Vor-)Lese-Veranstaltung.

Ich habe am Ende des Abends von den Doppelkopflern in der Klause noch gelernt, was es heißt, den Fuchs zu fangen und kurzerhand beschlossen, noch eine andere „neue“ Kiezkneipe in Stadtfeld aufzusuchen, um dort den einen oder anderen Fuchs (der Fläminger Art) zu fangen. Der „Nachdenker“ in der Immermannstraße ist dafür nämlich ein guter Ort. Früher hieß die Kneipe mal „Löwenschenke“. Jetzt heißt sie, in Anlehnung an eine andere längst vergangene Kneipeninstanz, halt „Nachdenker“ und ist ein feines Beispiel dafür, wie sich Tradition und modernes Kiezleben gut miteinander verbinden lassen. So ganz ohne Antipasti, Modebieren, Szenedrinks und Servierkräften. Bier aus der Flasche, Knabberteller und Kurze – und im Hintergrund läuft ein guter erdiger Sound.